Sonntag, 29. März 2015

der Streit - Neurealismus (statt naiv Realismus) und Neunominalismus

Heute stehen sich mitten im Umfeld der Anthroposophie zwei Geistesströmungen gegenüber, die sich schon einmal im Mittelalter gegenüberstanden: Der Nominalismus, der eine real existierende, differenzierte, wesenhafte geistige Welt leugnet, und der Realismus, wie ihn Rudolf Steiner vertrat. Im Mittelalter standen sich der arabische Philosoph Averroes und der christliche Philosoph Thomas von Aquin gegenüber.
Die Frage, welche Realität das Geistige hat, ist von unmittelbarer Konsequenz für das ganze Menschenwesen. Die nominalistische Auffassung kennt, wie ich gezeigt habe, im Grunde nichts zwischen dem individuellen Menschen-Ich und einem vorgestellten oder postulierten Universal-Ich. Christian Clement glaubt, mit seinen Thesen an den deutschen Idealismus anzuknüpfen – oder Steiner daran anknüpfen zu können –, aber seine Version offenbart einen höchst abstrakten Charakter. Mehr noch, er geht sorglos mit Aussagen Steiners um. Und hinter allem steht das Spöttische, Profane, das alle Vertreter des neuen Nominalismus gemeinsam zu haben scheinen: Clement, Eggert, Hau...
Einblicke in den Kampf um konkrete Begriffsbildungen und Einsichten:
Holger Niederhausen. siehe auch

Realismus (nicht naiv) und Nominalismus.

Es gibt ein ganzes Gebiet im Umkreis unserer äußeren
Erfahrung, für welches der Nominalismus, das heißt die Vorstellung, daß das Zusammenfassende nur ein Name ist, seine volle Berechtigung hat. Die Zahl hat keine
Existenz. Für das, was in den Zahlen vorhanden ist, ist der Nominalismus absolut
richtig; für das, was so vorhanden ist wie das einzelne Tier gegenüber seiner Gattung,
ist der Realismus absolut richtig. 151.33f
Aus dem römisch-lateinischen Wesen entwickelte sich der Nominalismus, für
den allgemeine Begriffe nur Namen sind, wie man aus der Grammatik und Rhetorik
heraus denken mußte. Wie man da nur zum Nominalismus kommen konnte, so entwickeltesich bei denen, die doch einen Funken Volkstum in sich hatten, wie Albertus
Magnus und Thomas von Aquino*, ein Realismus, der das gedankliche Element
wie etwas ausgesprochen Reales empfand. 325.61
Die Scholastiker* waren, wenigstens
in ihrer realistischen Strömung, durchaus der Meinung, daß die Gedanken den
Menschen von außen gegeben werden, nicht von innen fabriziert werden. Heute ist
man der Meinung, daß die Gedanken nicht von außen gegeben werden, sondern von
innen fabriziert werden. Dadurch ist der Mensch dazu gekommen, nach und nach in
seiner Entwickelung alles fallenzulassen, was sich nicht auf die äußere Sinneswelt
bezieht. 220.131
Die Arten von Pflanzen (beispielsweise) sind für das heutige Denken,
für dieses arme, abstrakte Denken der Gegenwart eben Abstraktionen, Begriffe.
Sie waren es schon im Mittelalter, und weil man auch damals schon nichts mehr
wußte von dem, was im Geistigen webt und lebt als Grundlage des Physischen, kam
der berühmte Streit auf zwischen Realismus und Nominalismus, das heißt, ob das,
was als Arten existiert, bloßer Name ist oder etwas real Geistiges. Für das hellseherische Bewußtsein hat dieser ganze Streit nicht den allergeringsten Sinn, denn wenn es sich richtet über die Pflanzendecke unserer Erde hin, so dringt es durch die äußere physische Pflanzenform in ein geistiges Gebiet, da leben als wirkliche reale Wesen die Gruppenseelen der Pflanzen. Und diese Gruppenseelen sind einerlei Realität mit dem, was wir die Arten der Pflanzen nennen. Zu der Zeit, als die Luft-Wärme-Lichtkugel der alten Sonne* in ihrer vollen Blüte war, als das dort spielende Licht* an die Gasoberfläche herauswarf die lichtfunkelnden Blütenformen des Pflanzendaseins,
damals waren diese Formen dasselbe, und zwar in physischer Gasgestalt, was heute
nur noch im Geistgebiete als die Arten der Pflanzen zu finden ist. 122.65f

Der Mensch bildet sich über die sinnenfällige Wirklichkeit Begriffe. Für die Erkenntnistheorie entsteht die Frage, wie sich dasjenige, was der Mensch als Begriff
von einem wirklichen Wesen oder Vorgang in seiner Seele zurückbehält, zu diesem
wirklichen Wesen oder Vorgang verhält. 21.138
Anthroposophische (Geisteswissenschaft)
zeigt, daß außer der Beziehung des Menschen (zum sinnlich angeschauten
Objekte), die im «Sinnenfälligen» vorhanden ist, noch eine andere besteht. Diese tritt
in ihrer unmittelbaren Eigenart nicht in das gewöhnliche Bewußtsein ein. Aber sie
besteht als ein lebendiger übersinnlicher Zusammenhang zwischen dem Menschen
und dem sinnlich angeschauten Objekte. Das Lebendige, das im Menschen durch
diesen Zusammenhang besteht, wird durch seine Verstandesorganisation herabgelähmt
zum «Begriff». Die abstrakte Vorstellung ist das zur Vergegenwärtigung im
gewöhnlichen Bewußtsein erstorbene Wirkliche, in dem der Mensch zwar lebt bei
der Sinneswahrnehmung, das aber in seinem Leben nicht bewußt wird. Die Abstraktheit
von Vorstellungen wird bewirkt durch eine innere Notwendigkeit der Seele.
Die Wirklichkeit gibt dem Menschen ein Lebendiges. Er ertötet von diesem Lebendigen
denjenigen Teil, der in sein gewöhnliches Bewußtsein fällt. Er vollbringt
dieses, weil er an der Außenwelt nicht zum Selbstbewußtsein kommen könnte, wenn
er den entsprechenden Zusammenhang mit dieser Außenwelt in seiner vollen Lebendigkeit erfahren müßte. Die Art, wie der Mensch seinen Erkenntnisvorgang nach
innen in die Abstraktheit der Begriffe auslaufen läßt, ist nicht bedingt durch ein
außer ihm liegendes Wirkliches, sondern durch die Entwickelungsbedingungen seines
eigenen Wesens, welche erfordern, daß er im Wahrnehmungsprozeß den lebendigen
Zusammenhang mit der Außenwelt abdämpft zu diesen abstrakten Begriffen,
welche die Grundlage bilden, auf der das Selbstbewußtsein erwächst. Daß dieses so
ist, das zeigt sich der Seele nach der Entwickelung ihrer Geistorgane. Durch diese
wird der lebendige Zusammenhang mit einer außer dem Menschen liegenden
Geist-Wirklichkeit wieder hergestellt; wenn aber das Selbstbewußtsein nicht bereits
ein Erworbenes wäre vom gewöhnlichen Bewußtsein her: es könnte im schauenden
Bewußtsein nicht ausgebildet werden. (Anthroposophische Geisteswissenschaft ist
also Realismus nicht Nominalismus). 21.140f

Scholastiker realistische und nominalistische. In früheren Zeiten sahen die Menschen
nicht bloß auf den Begriff «Wolf», sondern auf die reale, in der geistigen Welt
vorhandene Gruppenseele* Wolf. Das war eine reale Wesenheit. Diese reale Wesenheit
einer früheren Zeit, hatte sich bei den Scholastikern verflüchtigt zu dem abstrakten
Begriff; aber immerhin hatten die realistischen Scholastiker eben noch das
Gefühl, im Begriff ist nicht ein Nichts (ein Name) enthalten, sondern es ist ein Reales
enthalten. Die ganze Entgeistigung der modernen Zivilisation drückt sich aus in dem
Übergang vom Realismus* zum Nominalismus. 220.163ff 

Man fühlte die Ideenwelt in sich. Man erlebte sie als etwas Reales. Aber man fand in der Seele nicht die Kraft, in den Ideen den Geist zu erleben. So entstand der Realismus, der die Realität in den Ideen empfand, aber diese Realität nicht finden konnte. Der Realismus hörte in der Ideenwelt das Sprechen des Weltenwortes, er war aber nicht fähig, die Sprache zu verstehen. … Der Realismus lebte ein totes Dasein. Er wußte von der Realität der Ideenwelt; aber er konnte im lebendigen Erkennen nicht zu ihr gelangen. (GA 26, S.246-7).

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen